Wiener Impressionen

Die Entscheidung war überaus erfreulich und ließ Positives für Wien erhoffen. Bereits 2015 übernahm Günter eine Gastprofessur am Institut für Soziologie der Uni Wien – offenbar mit ganz guten Erfahrungen. Nur so ist die Entscheidung plausibel, dass er sich 2019 Wien für sein Sabbatical ausgesucht hat. Im Vorfeld war klar, dass der Mai für dieses Vorhaben ideal sei: Die Sonne würde scheinen, die Temperaturen mild, weder zu heiß noch zu kalt – eine wunderbare Möglichkeit, die lauen Abenden in den Wiener Gastgärten zu verbringen und den Arbeitstag ausklingen zu lassen. Einer perfekten Melange aus Arbeit, Vergnügen, garniert natürlich mit Kultur stand nichts im Wege und auch der (doch immer seltener werdende) “Wiener Grant” sollte dem nichts anhaben können.

Mai 2019: Die Vorbereitungen waren abgeschlossen und ganz offiziell war Günter als Professorial Research Fellow in das Personalregister der Universität Wien eingetragen. Aufgrund des ständigen Raummangels an der Uni hatte ich das Vergnügen, mein Büro im 3. Stock des Institutsgebäudes am Rooseveltplatz mit ihm zu teilen. Als er standesgemäß mit der Bahn in Wien ankam, erwies sich die in der Planung imaginierte Situation als nicht ganz zutreffend: Nicht der laue Mai empfing ihn, sondern ein barometrisches Minimum mit Kälte und Nässe und allem, was so an metereologischen Unwirtlichkeiten vorstellbar ist. Statt in einem grünen und schattigen Gastgarten fand das erste Treffen wettergeschützt am Institut statt. Aber es war unvermeidlich, dass sich die Kälte beharrlich in die Glieder fraß. Und zu allem Überdruss fand dieses Tief noch einige Zeit Gefallen an Wien, was die Bekleidungsplanung, die von völlig anderen Voraussetzungen ausging, kräftig konterkarierte.

Aber irgendwann musste sich ja das Wetter ändern – was es auch tat. Allerdings mit enormer Konsequenz, offenbar um die Kälte mit dem genauen Gegenteil auszugleichen. An die Stelle nasswindiger Eiseskälte trat nun trockene Hitze. Genau in dieser Phase war sein Vortrag über “Performative Sozialwissenschaft: Ansätze und Beispiele” angesetzt – natürlich in einem nicht klimatisierten Raum, der die Zuhörer*innen bereits beim Betreten gehörig zum Schwitzen brachte und für den Vortrag tatsächlich eine performative Herausforderung stellte, nämlich die wissenschaftlichen Inhalte auch ästhetisch umzusetzen.

Aber Günter vollbrachte das Kunststück, die Anwesenden geistig so zu fesseln, dass alle von einem drohenden Hitzeschlag abgelenkt waren und sogar erfrischt von den Anregungen in eine muntere Diskussion eintraten. Gefeiert wurde dieser energetisierende Erfolg dann in meinem vegetarischen Lieblingsrestaurant mit Manfred und Angelika Poferl.

Letztlich durften in Wien natürlich bei all den wissenschaftlichen Aktivitäten Kunst und Kultur nicht fehlen, weshalb Manfred, Michaela Pfadenhauer und ich die Gelegenheit ergriffen, um gemeinsam mit Günter nach einem wohl unerlässlichen Besuch des Café Landtmann ins gegenüberliegende Burgtheater zu gehen und uns die Abschiedsinszenierung Andrea Breths von G. Hauptmann “Die Ratten” anzuschauen, ein Stück, das zurück nach Berlin führt – aber dessen gesellschaftliche Katastrophentendenz die anfängliche Unwirtlichkeit des Wienbesuchs vielleicht künstlich zu verdrängen half.

Dennoch: Es war gut, dass dieses Sabbatical im Jahr 2019 stattfand. Ein Jahr später, und vieles wäre gar nicht mehr möglich gewesen.

Also: Schön dass Du, Günter, Dich für Wien entschieden hast, auch wenn nicht alles ganz wunschgemäß verlaufen ist. Aber helfen solche Erwartungsenttäuschungen nicht, die Erinnerungen zu fixieren? Bei uns war es jedenfalls so.

Lieber Günter!

Manfred und ich wünschen Dir zu Deinem Geburtstag alles Gute und noch viele erfolgreiche Forschungsprojekte!  

PS: Deinem Engagement für das Berliner Methodentreffens haben wir es zu verdanken, dass wir seit 10 Jahren regelmäßig nach Berlin kommen, die Stadt schätzen lernten und neue Freund*innen gewonnen haben. Dafür herzlichen Dank.