EIN GELUNGENER ABEND IN BERLIN – ERGEBNISSE EINER KNAPP 6-JÄHRIGEN FELDSTUDIE

Lieber Günter,

unsere erste Kommunikation im Januar 2011 verlief für dich eher irritierend und doch sollten in den darauffolgenden 10 Jahren viele weitere Begegnungen folgen, bei denen wir uns viel und vielleicht auch das ein oder andere bewegt haben. Ich habe das mal grob überschlagen und es müssten um die 250 Abende in Berlin gewesen sind. Hinzu kommen viele Treffen auf dem Campus in Stendal, Museums-, Theater- und Kinobesuche, Verabredungen zum Kaffee, Fahrten zum Bahnhof und Vieles mehr …

Während unserer gemeinsamen Zeit haben wir viele, in meinen Augen “sehr wichtige” Weisheiten aufgestellt. Sie an dieser Stelle alle aufzuzählen, würde zu lange dauern. Deshalb werde ich mich auf jene beschränken, die wir nahezu perfektioniert haben: Die Rahmenbedingungen für einen gelungenen Abend in Berlin. Ich habe länger überlegt, ob ich von “perfekt” spreche, aber diese “Bescheidenheit” überlasse ich dir …

Auf eben jene Erkenntnisse zu fokussieren, scheint mir aus zweierlei Gründen angebracht: zum einen, da diese Ära beendet ist und zum anderen, weil uns das “Wissen”, welches wir in sechs Jahren gesammelt haben, viele Euros (eine genauere Zahl hast du im Blick) und vielleicht auch die ein oder andere Lebensstunde gekostet haben. Letztes aber nur, wenn sich Alkohol und Zigaretten wirklich schädlich auf den menschlichen Körper auswirken sollten …… zuweilen hast du mir da ja Ausnahmen aufgezeigt …

Kurzum sollten die Erkenntnisse einmal gesammelt, sortiert und ausdifferenziert festgehalten werden, und dafür scheint mir dein Jubiläum prädestiniert …

Ich beginne mit dem Abendessen als Auftakt eines gelungenen Abends in Berlin …

DAS ABENDESSEN – die schwierige Wahl des Restaurants

Die unzählige Auswahl an Lokalitäten in Berlin macht die Wahl des Restaurants nicht gerade einfach. Um da eine Auswahl treffen zu können, verfolgten wir zunächst den Plan, immer etwas Neues ausprobieren zu wollen. Irgendwann kamen wir aber aus den folgenden zwei Punkten an unsere Grenzen:

  1. Es gab auch in der Weltstadt Berlin nicht genügend Restaurants, die unseren Ansprüchen zu genügen schienen, um ca. 250 Abend zu füllen.
  2. Bei vielen Restaurants fehlte ein Bar in der Nähe, die fußläufig zu erreichen war: So kann ein Abend auf der Terrasse des Meininger Hotels zwar ganz doll schön sein, für die Dauer stellt schlechter Wein aber wirklich keine Alternative dar …

Irgendwann wurde also unser Anliegen, etwas Neues ausprobieren zu wollen, von der Frage abgelöst, wo man gut hinkommt, lecker essen und mit Stil trinken kann sowie am Ende des Abends auch wieder vernünftig in die Wohnung kommt. Hier eine gute Lösung für Steglitz und Friedrichshain (quasi den tiefsten Westen und den Osten: wie ich gelernt habe ;)) zu finden, stellte uns doch das ein oder andere Mal vor Herausforderungen …

Wenn wir dann aber nach meist längeren Überlegungen einen Entschluss getroffen hatten, folgte auf die Wahl des Restaurants die Frage, welche Farbe die entsprechende U-Bahn hat. Um hier kurz nochmal die Rückreise in die Wohnung ins Spiel zu bringen: Am Zielort sollten möglichst orange und grün vorhanden sein.

Sollte das Restaurant beim Verlassen der BVG bekannt sein, konntest zumindest du uns dorthin navigieren. Wenn die Lokalität neu war, galt nur eine Regel: Das Handy hat beim Weg zum Lokal immer Recht, auch wenn es um das Europa geht …

Am Restaurant angekommen, konnte dann eigentlich nur noch eine Sache ein lukullisches Highlight gefährden: das Publikum. Jenes sollte nicht zu alt, aber auch nicht zu jung sein. Hier gab es allerdings keine klare Regel, vielmehr galt es, das situationsabhängig zu entscheiden.

Gelungen war das Essen dann, wenn schon währenddessen darüber nachgedacht wurde, was Mann braucht, um es am Wochenende nachzukochen. Dass das dann besser schmeckte als im Restaurant, versteht sich von selbst.

Als unsere Highlights sind festzuhalten: das Arema, die Tapas Bar am Savignyplatz, der Italiener mit Frischetheke, das Café Brel (was es leider nicht mehr gibt), der Italiener am Ku’damm, das Café April, das Weyers (insbesondere im Winter), der Schleusenkrug (insbesondere im Sommer und ohne Blick in die Küche) und der Biergarten am Kanzleramt (gern auf die beste Geburtstagscurrywurst) … die Liste könnte noch fortgesetzten werden, um den Rahmen aber nicht zu sprengen, sei hier noch kurz gesagt: bei ganz großer Zeitknappheit ging auch immer das Vapiano am HBF, denn es kommt ja auf die Gesellschaft an …

DIE BAR – das zentrale Element des Abends

Als wichtigste Erkenntnis mit Blick auf die Bar ist festzuhalten: Kann man nicht rauchen, ist es keine zu besuchende Bar. Ein ganz besonderer Charme entsteht, wenn die “Rauchplätze” Exklusivität darstellen. Es also nur (sehr) wenige gibt, die spätestens nach 30 Minuten in der Bar zu besetzen sind.

Die zweite wichtige Erkenntnis ist jene der Herausforderung eines guten Weins. So scheint es in Berlin zwar eine Vielzahl an Bars mit (richtig) guten Cocktails zu geben. Eine Bar mit gutem Wein gilt es aber auch in Berlin erst einmal zu suchen und zu finden.

Weniger wichtig, aber nicht zu vergessen, ist das Bar-Personal. Dieses sollte optisch hinter einen Tresen passen und sich darauf einlassen, bei der letzten Bestellung des Gastes mal kurz nachfragen, ob es dieses letzten “kleinen Weins” wirklich noch bedarf – dass es diesen geben muss, ist selbstredend.

Kurz zusammengefasst geht in Berlin immer das Hefner, das gainsbourg, das Galander in Schöneberg, das green door, das Kirk und das George R. Auch diese Liste kann natürlich ergänzt werden, aber ich lasse mal noch was für das nächste Jubiläum … 😉

Zuletzt ist aus unseren Abenden festzuhalten, dass die Rechnung in der Bar durchaus höher sein kann als im Restaurant: Das sollte auf jeden Fall nicht irritieren, sondern vielleicht eher dazu anregen, beim nächsten Mal noch einen Wein mehr im Restaurant zu trinken …

Leider ist jeder Abend irgendwann mal zu Ende, und dann gilt es, den Weg nach Hause anzutreten:

DER WEG NACH HAUSE – der Umgang mit dem Betriebsschluss der BVG

Jener Betriebsschluss hat das ein oder andere Mal dazu geführt, dass der Abend anders als eigentlich geplant (kurz vor einem zunächst angedachten Schluss angenommen) endete. Denn wenn sich beispielsweise der feine Herr Mey dazu entschied, Taxi zu fahren, war man nicht mehr auf den Betriebsschluss der U-Bahn angewiesen. Auch musste sich eine Taxi-Fahrt lohnen, warum es nicht selten dazu gekommen ist, dass zwei bis drei kleine Wein mehr getrunken wurden …

Wenn kein Taxi gefahren wurde, hat es sich etabliert, dass wir uns gegenseitig darüber informiert haben, wie schrecklich die BVG ist, und dass man ewig gebraucht hat, um in die Wohnung zu kommen.

DIE ANKUNFT IN DER WOHNUNG ­– der wirklich letzte Wein und die letzten Zigaretten auf dem Balkon zu Hause

Jenes ist natürlich absolut mehr als überflüssig, aber scheinbar schwierig zu vermeiden. In erster Linie dient dies natürlich dazu, den Abend Revue passieren zu lassen; gern auch in einem noch kurzen Austausch mit dem*r Gesprächspartner*in des Abends.

Des Weiteren können hierbei auch Mail- oder Whatsapp-Nachrichten gecheckt werden. Hier hat es sich allerdings als gut erwiesen, nicht mehr zu antworten oder eben die Antwort zu verfassen und das Abschicken auf den nächsten Morgen zu verschieben, um vorher nochmals drüber zu lesen.

DIE NACHBESPRECHUNG ­ – Rückmeldung am nächsten Tag

Zuletzt bleiben noch ein paar Dinge zum Tag danach zu sagen. Ein richtig guter Abend musste natürlich am nächsten Tag nachbesprochen werden (das ist halt wie bei Filmen). Da man aber nicht wirklich motiviert ist, viel zu reden, passiert das am besten per Mail und zwar nicht vor 14 Uhr. Dabei kann die Mail damit beginnen, dass man es gerade geschafft hat, vom Bett auf die Couch zu wechseln. Das Ende bildet selbstredend die Feststellung, dass der letzte Wein (aber auch wirklich nur der) zu viel war. Das scheint aber eine Floskel zu sein, denn bei nächsten Mal wird zum Glück nicht wirklich anders gehandelt …

Ich beende die Zusammenfassung unserer Erkenntnisse zu den Rahmenbedingungen eines gelungenen Abends in Berlin mit der Bitte (eigentlich Forderung ;)), dass, wenn du den ein oder anderen Punkt aus der Liste perfektionierst bzw. modifizierst, du jenes mit mir verifizierst 😉 …

Happy Birthday, lieber Günter, und nur das Beste für das, was jetzt so mit 60 kommt, Gesundheit, viele bereichernde Projekte, interessante Gespräche, spannende Menschen, Zeit für Wissenschaft und Kultur und zum Kaffee trinken in der Berliner, Wiener, Mannheimer, Basler, Luzerner oder Stendaler Sonne, ausschweifende Abende sowie immer einen guten Veltiner oder Veltliner 😉 im Kühlschrank …

Natürlich ist es sehr bedauerlich, dass wir in deinem neuen Lebensjahrzent nicht mehr soviel Zeit miteinander verbringen wie in dem vergangenem. Aber wie sagst du immer: “Beziehungen zwischen Personen müssen sich ändern, damit sie Bestand haben”. Unsere hat sich stark verändert. Ich hoffe also auf einen festen Bestand (und gelobe schon mal Besserung, was die Kommunikation angeht) …

Ich proste dir zu und bedauere es sehr, dass wir dein Jubiläum nicht mit 60 Personen im Friedrichsstadtpalast (oder auch mit weniger z.B. im Hefner) feiern können …

Auf dich, lieber Günter, und noch hoffentlich viele Weine, die wir gemeinsam trinken und bei denen am Ende des Abends zu sagen bleibt: “das letzte Glas war zu viel; aber nur das!” …

Anja