Neidische Momente – Betrachtungen/Einsichten zu einem unliebsamen Phänomen
Wer Günter Mey ein wenig kennt oder sich zumindest mit seiner Person als Wissenschaftler beschäftigt hat, wird bemerkt haben, dass er nicht die allerkürzeste Publikationsliste aufweist, sondern eine, die nicht komplett konkurrenztauben Menschen den Schweiß auf die Stirn treiben kann. Günter verfolgt, seit ich ihn kenne, sehr unbeirrt, diszipliniert und ausgesprochen produktiv seine unterschiedlichen Projekte und wissenschaftlichen Leidenschaften im Bereich der qualitativen Forschung und der Jugendkulturen, organisiert neben der Veröffentlichung von Geschriebenem Ausstellungen, macht Filme, gewinnt Forschungs- und Lehrpreise etc.
Günter und ich treffen uns, wenn nicht gerade Corona ist, seit langem drei- bis viermal im Jahr, wir kennen uns seit mittlerweile knapp 30 Jahren, wir sind an erster Stelle Freunde und nur an zweiter Stelle Kollegen. Nicht selten habe ich ihm nicht nur mit Bewunderung, sondern mitunter auch mit schlecht verhohlenem Neid – Gefühle verbergen liegt mir nicht so – zugehört, und irgendwann fragte mich Günter mit seiner manchmal sehr direkten Art halb belustigt, halb konfrontativ, hey, sag mal, warum bist Du eigentlich immer neidisch? Ich habe mich in diesem Moment beileibe nicht über die Frage gefreut, aber sie hat etwas in mir angestoßen, das mich seitdem begleitet.
„Neid ist grau mit gelben Punkten“ ist eine Kindergeschichte von Cili Wethekam von 1976, in der Anita neidisch auf ihre jüngere Schwester ist, der alles leichter fällt und die ihr deshalb missgünstig ein hässliches Kleid zukommen lässt. Noch heute schäme ich mich, wenn ich diese Geschichte lese, und ich erinnere mich auch an meine damalige Scham, weil ich mich gut mit Anita identifizieren konnte. Psychoanalytisch betrachtet ist Neid ein hochkomplexes Gefühl, dass einerseits für Destruktion und andererseits aber durchaus auch für einen konstruktiven Leistungsansporn stehen kann. Melanie Klein (1957) hat den Neid ein wenig aus seiner Schmuddelecke herausgeholt, und dennoch ist Neid nach wie vor ein eher sozial geächtetes Gefühl, es steht für wenig Souveränität und sollte eigentlich nicht stattfinden.
„Nähern wir uns diesem Gefühl von der deskriptiven Seite, fällt zunächst auf, dass das Neidgefühl möglichst verborgen wird. Wir haben einen Vergleich angestellt und dabei festgestellt, dass die andere Person etwas zu bieten hat, über das wir selbst nicht verfügen können, dieses aber für erstrebenswert halten. Verborgen wird es, weil es auf einen eigenen Mangel hinweist, ein Defizit, welches offenbar schwer zu ertragen ist. Hinzu kommt, dass es uns beschämt, dass uns dieser Mangel etwas ausmacht. Neid setzt eine Beziehung voraus, in der überhaupt ein Vergleich möglich ist, er unterliegt einer Bewertung und erfüllt uns mit Scham“ (Focke, Pioch & Schulze 2017, S.11).
Günter hat bei mir den Neid aus dem Verborgenen geholt, was dazu geführt hat, dass ich mich zunächst geschämt habe und dann aber in der Lage war, mir dieses grau-gelb gepunktete Gefühl näher anzuschauen. Und wie das immer oder zumindest meistens so ist, wenn man das schamhaft Verborgene näher und vielleicht auch ein wenig freundlicher betrachtet, erscheint es weniger gruselig, dominant und ausgeprägt. So konnte ich mich neulich mit meiner 13jährigen Tochter köstlich über die Beschreibung einer Klassenkameradin und ihre darauf bezogenen Gefühle amüsieren: „Weißt Du Mama, die ist total hübsch, klug und hat auch noch Humor, und ich kann sie irgendwie trotzdem nicht leiden, ich glaube, ich bin einfach neidisch auf sie.“
So bin ich Günter nicht nur für seine verlässliche und mich sehr bereichernde Freundschaft, sondern auch noch dafür dankbar, dass er mich in Kontakt zu einem nicht immer angenehmen, aber bei Licht betrachtet durchaus erträglichen Gefühl gebracht hat, das mich wohl noch länger begleiten wird.
Lieber Günter, ich gratuliere Dir von Herzen, ich finde, die 60 steht Dir sehr gut, ich freue mich über unsere beständige Freundschaft und auf alle Kuchenstücke, die wir bei ausführlichem Palaver hoffentlich noch gemeinsam vertilgen werden!
Barbara Bräutigam
Focke, I., Pioch, E. & Schulze, S. (2017). Neid. Zwischen Sehnsucht und Zerstörung. In I. Focke, E. Pioch & S. Schulze (Hrsg.), Neid. Zwischen Sehnsucht und Zerstörung (S.11-35). Stuttgart: Klett-Cotta.
Klein, M. (1957). Neid und Dankbarkeit. Psyche, 11(5), 241-255.
Wethekam, C. (1976). Neid ist grau mit gelben Punkten. In M. Ende & I. Brender (Hrsg.), Bei uns zu Hause und Anderswo. Stuttgart: Thienemanns.