Hey, Hey, Mey, Mey

There’s more to the picture
Than meets the eye

Neil Young

Meine erste Begegnung mit Günter Mey war indirekt, und zwar vermittelt über meine damalige Chefin an der Universität Osnabrück, Heidi Keller. Günter war ihr während seines Grundstudiums der Psychologie, welches er ein paar Jahre vor mir in Osnabrück absolviert hatte[1], durch seine kritische und kreative Art und Herangehensweise an das Studium positiv aufgefallen, und ich glaube, es war neben dem unkonventionellen Denken und darüber hinaus vor allem auch das Interesse an Kunst, welches die beiden verband und füreinander interessant machte. So hatte Heidi Keller damals einen Spielplatz für ein bürgerliches Viertel im Zentrum von Osnabrück entwickelt, welcher dann auch baulich (in Teilen) umgesetzt wurde. In der Folge gab es viel Unverständnis und eine längere Kontroverse sowie viele Missverständnisse um diesen angeblich problematischen und vermeintlich weder sehr kindgerechten noch für Erwachsene ansprechenden Spielplatz. Frau Keller war da ihrer Zeit voraus, und Günter war mit ihr dabei, verstand, und auch dies verband. Performative Aspekte waren Günter schon früh wichtig. Wenn Heidi von Günter erzählte, was immer wieder mal vorkam, dieser ungewöhnliche Student von einst war ja nun schon lange in Berlin und eine große Nummer unter anderem in der qualitativen Methodologie und performativen Sozialwissenschaft, dann wählte sie zur Einordnung seiner Osnabrücker Zeit nicht selten den Begriff Edelpunk. Sie sagte das, so nahm ich es wahr, mit einem respektvollen und anerkennenden Unterton. Ich war mir damals nicht sicher, ob Günter diese Bezeichnung auch als ein Kompliment auffassen, ob er sie zumindest teilen oder eher ablehnen würde. Dazu später mehr.

Wenn ich mich richtig erinnere, dann habe ich Günter zum ersten Mal persönlich bei einer Veranstaltung im Osnabrücker Kulturzentrum Lagerhalle erlebt. Dort wurde der Videodokumentarfilm Hyde-Park – Dokumente eines Wandels, den er zusammen mit Günter Wallbrecht 1988 veröffentlich hatte, wiederaufgeführt. Der Film beschreibt (mit vielen Interviewausschnitten) zentrale Veränderungsprozesse eines legendären Osnabrücker Clubs (bzw. im Sprachgebrauch der Entstehungszeit einer legendären “Disko”), die auch für mich eine durchaus wichtige Rolle spielte. Hier lernte ich Günter als künstlerisch Tätigen kennen und war sehr angetan vom Film (den ich vorher noch nicht gesehen hatte) und auch von der Art seiner zugleich lässigen wie auch eloquenten Art der Gestaltung des an den Film anschließenden Austausches mit den Zuschauer*innen. Darüber hinaus wurde mir Günter durch Veröffentlichungen zur qualitativen Methodik als Autor vertraut. Nach einem Moratorium von mehreren Jahren begann dann, eher unerwartet, die eigentliche Zeit des näheren Kennenlernens. Ich bewarb mich 2013 auf eine Professur für Entwicklungspsychologie der Kindheit (zuständig vor allem für den neu entstehenden Studiengang der Kindheitspädagogik) an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Ich hatte das Glück, die Stelle zu bekommen und fand mich somit an der Hochschule wieder, an der auch Günter eine Professur für Entwicklungspsychologie (verankert im etablierten Studiengang der Rehabilitationspsychologie) innehatte. Somit wurden wir zu Kollegen, und ich bekam damit auch die Chance, Günter als Psychologen und auch als Person kennenzulernen.

Besonders beeindruckt haben mich dabei (neben der fachlichen Expertise) unter anderem folgende Aspekte: Günter teilt nicht die Angewohnheit vieler Menschen, auf Fotos immer superhappy und breit grinsend auszusehen (was dann teilweise auch sogar von den fotografierenden Personen eingefordert wird). Er sieht auf Fotos oftmals eher ernst, vielleicht sogar manchmal ein wenig griesgrämig aus.[2] [3]

Dies empfinde ich als erfrischenden Gegenentwurf zum Dauergrinsen und in dieser Abwendung von Konventionen auch als zutiefst human. Weiterhin hat mich an Günter seine Art des konstruktiven Dagegenseins beeindruckt. Ich finde, er ist ein meinungsstarker und diskursfreudiger Mensch, der zudem bei zu großer Konsensbetonung gerne durch Gegenpositionen und ungewöhnliche Sichtweisen irritiert und zuweilen provoziert. Aber dies eben immer auch auf eine konstruktive und alle Beteiligten wertschätzende Weise. Das nehme ich als eine besondere Mischung wahr, bestehend aus einer Haltung, die auf der einen Seite Stillstand schwer ertragen kann und somit permanent innovations- und diskursorientiert ist, auf der anderen Seite die einzelnen Menschen mit ihren Ideen und Meinungen aber ernst nimmt und schützt. Weiterhin besticht Günter durch einen ausgeprägten Fleiß, der aber immer auch mit einer Leidenschaft für die Themen einhergeht und durch eine große Genauigkeit geprägt ist. Als einen Aspekt, der dies deutlich macht, möchte ich hier Günters umfangreiche Schreibtätigkeit nennen, die neben vielen Publikationen auch unzählige Mails (die von ihm in seiner üblichen schreibweise ausschließlich in kleinschreibung verfasst werden, was ja auch hier gleichzeitig etwas anarchisches und pragmatisch zeitsparendes hat) und Gutachten umfasst. Sinnbildlich dafür ist mir die abgewetzte Tastatur von Günters Notebook in Erinnerung geblieben (welches im Jahr 2019 dann auch durch ein neues ersetzt werden musste). Eine derart benutzt aussehende Tastatur habe ich bisher noch nicht gesehen. Die Taste mit dem Buchstaben “e” wurde beispielsweise so strapaziert, dass dort nur noch eine freigewetzte Fläche zu sehen war und sich lediglich aus dem Kontext der Tastatur erschließen ließ, welcher Buchstabe da einmal abgebildet war.

Kehren wir noch einmal zum Kunstbezug zurück. Neben vielen anderen Feldern des künstlerischen Ausdrucks kann auch Musik als eine wichtige Komponente im Leben von Günter Mey angesehen werden. Beispielhaft sei hier sein Auftritt beim sogen. “Battle of Profs” genannt, welcher von Studierenden der Hochschule Magdeburg-Stendal in der Mensa auf dem Stendaler Campus veranstaltet wurde. Die Idee dabei war, dass Professor*innen der Hochschule jeweils ein DJ-Set zusammenstellen und performen sollten. Das Ganze fand am 4. Juli 2018 statt, und Günter beteiligte sich dabei. Er stellte ein Set mit dem Schwerpunkt Coverversionen zusammen, welches unter anderem durch New Wave und Industrial Music geprägt und vergleichsweise avantgardistisch war. Mir ist dieser Auftritt sehr positiv und nachhaltig in Erinnerung geblieben. Das Set wurde gerahmt von dem Song Hey Hey, My My. Dieser ist im Original von Neil Young [4] und wurde von Günter aber in der, wie ich finde, großartigen Version von Teho Teardo und Blixa Bargeld aus dem Jahr 2017 gespielt. Überhaupt Blixa Bargeld. Er ist aus meiner Sicht eine der Künstlerpersönlichkeiten, zu der sich Parallelen ziehen lassen. So eint beide, also Blixa (oder Christian, wie er eigentlich heißt) und Günter, z.B. der Einfluss der speziellen Szene in West-Berlin der 1980er Jahre und auch ein Wandel vom eher punkig-ledrigen hin zum konsequenten Anzugtragen wie auch zur Kennerschaft von Wein und Kulinarik (äußerlich, und vielleicht sogar nicht nur äußerlich lassen sich auch Vergleiche mit dem großen Dramatiker Heiner Müller anstellen).

Zum Schluss möchte ich noch auf die Bezeichnung Edelpunk zurückkommen. Ich hatte ja oben schon geschrieben, dass ich nicht sicher war, wie Günter auf diese Beschreibung seiner (damaligen) Person zu sprechen war und habe ihn danach gefragt, und er hat diese Bezeichnung durchaus auch als Kompliment verstanden und konnte sie für sich annehmen. Und möglicherweise charakterisiert sie ihn auch wirklich gut. Steckt da doch neben der aufsässigen Komponente auch eine ästhetische drinnen und verbindet somit die unterschiedlichen, und im obigen Text angerissenen Facetten der Persönlichkeit Günter Meys. Denn einfach in Schubladen einordnen lässt er sich nicht.

Ich möchte Dir, Günter, auf diesem Wege herzlich zu Deinem 60sten Geburtstag gratulieren und mich für die Begegnung und Deine Kollegialität und Unterstützung sehr bedanken. Ich wünsche Dir die Arbeit, die Dir Spaß macht, aber auch nur so viel Arbeit, dass es noch Spaß macht sowie auch sonst im Leben alles Gute!

Jörn Borke


[1] Günter fing 1984 dort an zu studieren, ich 1996; zum Hauptstudium zog es ihn, der gebürtig aus dem Emsland stammt und somit [neben Christian Drosten] als eine der wichtigen Forscherpersönlichkeiten aus diesem Landstrich Niedersachsens angesehen werden kann, dann bereits nach Berlin. <zurück>

[2] Aus Copyrightgründen ist hier nur ein Link zu einem beispielhaften Foto möglich: https://www.az-online.de/altmark/stendal/fachtagung-hochschule-will-eigentlich-jugend-5901490.html <zurück>

[3] Nicht zuletzt durch diesen Blog wird dann aber doch deutlich, dass es auch viele Fotos von Günter mit einem warmherzigen Lächeln gibt (was sich allerdings nach wie vor deutlich von einem leeren Grinsen unterscheidet), die somit die Behauptung dieses Beitrages vielleicht etwas untergraben. Naja, ein Mensch ist halt immer komplexer als ein Text über einen Menschen. <zurück>

[4] Die Platte Rust Never Sleeps wurde von Neil Young zusammen mit der Band Crazy Horse eingespielt und 1979 veröffentlicht. Sie beginnt mit dem Stück My My, Hey Hey (Out of the Blue) und endet mit der alternativen Version Hey Hey, My My (Into the Black). <zurück>